Mittwoch, 16. Juli 2025
Gehen, um am Leben zu bleiben
Die Waldenser in Württemberg

Immer wieder gibt es Situationen, in denen Menschen ihr alte Heimat verlassen und eine neue gefunden haben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Für eine verfolgte protestantische Minderheit in Italien, die Waldenser, war es die Tatsache, dass sie in ihren piemontesischen Bergdörfern nicht mehr sicher und in Frieden leben konnten. Die Machthaber stellten sie vor die Wahl, entweder ihren Glauben aufzugeben, zu sterben oder ins Exil zu gehen.
1699 beschloss eine Gruppe Waldenser nach Norden aufzubrechen. Um evangelisch und am Leben zu bleiben, siedelten sie sich im damaligen Herzogtum Württemberg an, gründeten Orte wie Kleinvillars, Großvillars, Perouse, Pinache, Palmbach (heute badisch) oder Nordhausen und fanden eine neue Heimat. Zuerst blieben sie als Glaubensgemeinschaft getrennt von den württembergischen und badischen Landeskirchen, doch dann wurden sie Teil von ihnen. Integration und Inklusion geschah. Heute sind die Gemeinden stolz auf ihre ganz besondere Vergangenheit und ihnen ist es wichtig, an ihre Herkunft zu erinnern. Darum gibt es auch die Deutsche Waldenservereinigung und ein wunderschönes Waldensermuseum in Ötisheim- Schönenberg in dem Haus, das Henri Arnaud, dem Anführer der ersten Waldenser, dort als Pfarrhaus diente.
Bei mir persönlich gab es andere Gründe, meine alte Heimat zu verlassen, nachdem ich in Karlsruhe aufgewachsen war und evangelische Theologie studiert hatte. Ich wollte gerne – auch weil ich inzwischen mit einem italienischen Waldenser verheiratet war – Dienstjahre in der Waldenserkirche verbringen. Weil ich ihre Herausforderungen als kleine, aber gesellschaftlich relevante Kirche spannend fand, weil ich sie, mit dem was ich gelernt hatte, gerne unterstützen wollte.
So lebte ich zusammen mit meinem Mann, und dann auch mit unseren zwei Söhnen, insgesamt mehr als 20 Jahre in Italien und arbeitete dort als Pfarrerin in unterschiedlichen Gemeinden.
Und habe mich sehr gefreut, jedes Jahr auf der Synode in Torre Pellice zu erfahren, dass die Waldenserkirche (die über Jahrhunderte hinweg immer sehr knapp an finanziellen Mitteln war) durch die italienische Kultursteuer „Otto per mille“ ( dt.: „8 Promille“) in der Lage war, andere Organisationen bei ihren sozialen, kulturellen und ökologischen Projekteinsätzen finanziell zu unterstützen. Denn die Waldenserkirche hatte von Anfang an beschlossen, das Geld der Steuer nicht für kirchliche Zwecke, sondern nur für Soziales und Kulturelles, auch außerhalb der eigenen Kirche, einzusetzen.
Heute fließen 50 Prozent dieser Gelder in internationale Projekte. Die Evangelische Mission in Solidarität (EMS) konnte schon vor mehr als zehn Jahren mit der Kirchenleitung der Waldenser eine Vereinbarung treffen, dass jedes Jahr einige ihrer Projekte, z.B. in Indonesien, Indien, Südafrika und Ghana, mit ca. 300.00 Euro pro Jahr bezuschusst werden. Zu dieser Vereinbarung kam es, weil die Waldenser über die badische und die württembergische Landeskirche auf der Suche nach einer Organisation waren, die sich bei Projekten in Übersee engagierte und auskannte, die auch eine Kontrolle und Evaluierung garantieren konnte. So kann die EMS heute mit Unterstützung der Waldenser dazu beitragen, dass weniger Menschen ihre Heimat verlassen müssen, auch wenn sie eigentlich bleiben wollen, z.B. durch Projekte, die Konfliktlösung und Dialog stärken.
Dorothee Mack