Unsere fünfteilige Reihe „Tod und ewiges Leben“ eröffnet faszinierende Einblicke in Bestattungsbräuche aus dem Umfeld der weltweiten EMS-Gemeinschaft. Viele dieser Rituale bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Christentum und traditionellen religiösen Überzeugungen. Die Kirchen nehmen dabei oft eine Vermittlerrolle ein.
Alle Beiträge der Reihe erscheinen erstmals in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „EMS Einblick“. Sie wird von einem Redaktionsteam aus Afrika, Asien und Europa verantwortet und bietet internationale Perspektiven auf die Arbeit der EMS-Mitgliedskirchen und Missionsgesellschaften.
Hinduismus - Ewiger Kreislauf des Lebens
Der Hinduismus ist neben dem Buddhismus eine der beiden großen Weltreligionen, die ihren Ursprung auf dem indischen Subkontinent haben. Hinduistische Bestattungsriten sind eng mit bestimmten Vorstellungen über den Tod, das Leben nach dem Tod und die spirituelle Reise der Seele verbunden. Durch die Auseinandersetzung mit diesen Praktiken können wir unsere eigenen Vorstellungen von Leben und Tod besser verstehen lernen.
Mehr als 80 Prozent der Inder*innen sind Hindus. In ihrer Religion wird der Tod nicht als endgültig angesehen, sondern lediglich als Übergang in ein weiteres irdisches Leben, wobei die Art der Wiedergeburt direkt durch das Karma bestimmt wird. Karma bezeichnet ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich Folgen nach sich zieht. In anderen Worten: Gute Taten bewirken ein gutes Karma, schlechte Taten ein schlechtes. Ziel aller gläubigen Hindus ist es, durch ein gutes Karma den ewigen, als leidvoll betrachteten Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt zu durchbrechen und „Moksha“ (Erlösung) zu erlangen. Dies kann durch die Befolgung bestimmter spiritueller Praktiken erreicht werden.
VORBEREITUNG AUF DIE LETZTE REISE
Verstorbene Hindus werden üblicherweise nicht auf Friedhöfen beigesetzt. Die vorherrschende Bestattungsart ist die Einäscherung. Sie findet nach alter Tradition in der Öffentlichkeit an dafür vorgesehenen Plätzen statt. Der Leichnam wird auf einen Scheiterhaufen aus Holz gelegt, der vom ältesten Sohn oder einem anderen männlichen Familienmitglied nach einem genau festgelegten Ablauf entzündet wird. Um die Reise der Seele zu erleichtern, wird die Asche möglichst einem heiligen Fluss wie dem Ganges übergeben. Um den Frieden der Verstorbenen zu sichern und ihr Andenken zu ehren, werden nach der Einäscherung Rituale wie die Opferung von Gaben an die Ahnen durchgeführt.
Unmittelbar nach dem Tod werden Verstorbene gewaschen, oft mit Ghee (Butterschmalz), Honig und Milch. Dies drückt Respekt und Ehrfurcht vor der verstorbenen Seele aus und dient der rituellen Reinigung. Der Körper wird mit wohlriechenden Substanzen – Kurkuma für Frauen und Sandelholz für Männer – eingerieben. Damit werden die Verstorbenen geehrt und auf ihre letzte Reise vorbereitet. Danach kleidet man sie in ein feierliches Gewand oder weißes Tuch und bahrt sie in Gebetshaltung auf. Um den Leichnam werden Gaben wie Blumen, Reisbällchen und Lampen gelegt. Wasser wird versprengt und Gebete werden gesprochen.
Bis zum Eingreifen der britischen Kolonialbehörden hielt sich auf dem indischen Subkontinent eine besondere Form des Femizids: Das Ritual der „Sati“ (Sanskrit: „treue Frau). Nach diesem Brauch glaubte man, dass ein verstorbener Mann ohne seine Frau im Jenseits nicht weiterleben könne. Daher wurde von der Witwe erwartet, dass sie sich neben ihren verstorbenen Mann auf den Scheiterhaufen legte, oder sie wurde sogar dazu gezwungen. Das Verbot der Witwenverbrennung wurde allgemein mit großer Erleichterung aufgenommen. Vollständig unterbunden werden konnte sie jedoch bis heute nicht, Einzelfälle werden weiterhin bekannt und es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
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Foto: (Pixabay/dMz)
HEILIGE STADT AM GANGES
Eine zentrale Rolle in der hinduistischen Bestattungskultur spielt die Stadt Banaras (Benares), auch Varanasi genannt. Die Stadt am Ganges gilt als eine der heiligsten Stätten des Hinduismus und wird auch „Mahashamshan“ oder „der große Verbrennungsplatz“ genannt. Für gläubige Hindus gilt es als besonders erstrebenswert, ihre letzten Tage in Banaras zu verbringen, dort zu sterben und an den heiligen Ghats verbrannt zu werden. Das Verstreuen der Asche in den Ganges bedeutet nach der hinduistischen Mythologie die sofortige Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt.
Als „Ghat“ bezeichnet man in Indien stufenförmige Uferbefestigungen, die zu einem Gewässer hin abfallen. Sie dienen verschiedenen Zwecken und sind oft von hinduistischen Tempeln und anderen Bauten gesäumt. Die beiden wichtigsten Ghats in Varanasi, die für Einäscherungszeremonien genutzt werden, sind die Manikarnika Ghats und die Harishchandra Ghats. An den Bestattungszeremonien, die an den Ghats stattfinden, nehmen nicht nur die unmittelbare Familie und Verwandtschaft des Verstorbenen teil, sondern auch Priester und Helfer. Sie gehören häufig traditionellen Berufskasten an und übernehmen während der Einäscherung verschiedene Aufgaben: Die Mahabrahmanen fungieren als Totenpriester, die Nau rasieren den Trauernden die Kopfhaare ab, während die Doms einfache Bestattungshelfer sind. Jede Gruppe trägt zu dem komplexen Geflecht von Bräuchen und Riten bei, das den Tod an den heiligen Ghats von Banaras umgibt.
Sofia Christabel
Pfarrerin der Kirche von Südindien (CSI)