Dienstag, 03. Dezember 2024

Themenreihe: Tod und ewiges Leben

Entdeckungsreise in jenseitige Welten

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Trauer- und Bestattungsriten sind so alt wie die Menschheit. Jede Religion hat ihre eigenen Vorstellungen von Sterben, Tod und Jenseits. Die bewusste Auseinandersetzung damit kann helfen, die eigene Kultur und den eigenen Glauben besser zu verstehen. 

Unsere fünfteilige Reihe „Tod und ewiges Leben“ eröffnet faszinierende Einblicke in Bestattungsbräuche aus dem Umfeld der weltweiten EMS-Gemeinschaft. Viele dieser Rituale bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Christentum und traditionellen religiösen Überzeugungen. Die Kirchen nehmen dabei oft eine Vermittlerrolle ein. Im ersten Teil laden wir Sie ein, die Friedhöfe der Herrnhuter Brüdergemeine in Deutschland und auf Grönland zu entdecken: Sie spiegeln in einzigartiger Weise die Besonderheiten der Herrnhuter Theologie wider.

Alle Beiträge der Reihe erscheinen erstmals in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „EMS Einblick“. Sie wird von einem Redaktionsteam aus Afrika, Asien und Europa verantwortet und bietet internationale Perspektiven auf die Arbeit der EMS-Mitgliedskirchen und Missionsgesellschaften.

Gleich und doch nicht gleich – Friedhöfe der Herrnhuter Brüdergemeine

Wer das erste Mal auf einem Friedhof einer Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeine steht, die den Ort „Gottesacker“ nennt, ist meist sehr erstaunt. Statt oftmals sehr verschiedener Grabsteine und Grabstätten gibt es hier nur liegende, gleich große Steine, die in Reihen und Feldern angeordnet sind. Die Bezeichnung „Gottesacker“ spiegelt den Glauben wider, dass die Verstorbenen, wie in einen Acker gesät, auf den Tag der Auferstehung warten.

Wer die Grabsteine genauer ansieht, der stellt fest, dass darauf nur der Name, Geburtsort und -datum, Sterbeort und -datum sowie meist ein Bibelvers eingemeißelt sind. Titel wie „Doktor“, „Bürgermeister“ oder „Oberregierungsrat“ fehlen vollständig. Auch andere Meriten sind nicht verzeichnet. Manchem fällt vielleicht auch auf: Männer sind auf der einen Seite beerdigt, Frauen auf der anderen. Familiengrabstätten gibt es nicht. Zudem kann man sich die Grabstätte nicht aussuchen: Wer als nächstes stirbt, bekommt das nächste Grab in der Reihe. Man kann also mit den Gräbern durch die Zeit gehen.  

Diese besondere Beerdigungskultur der Brüdergemeine ist nicht willkürlich, sondern hat vor allem theologische Gründe. Das Leben mit Gott vollzieht sich vor allem in dieser Welt. Nach dem Tod geht die Seele zurück in Gottes Schoß. Statt vom Tod wird oft vom „Heimgang“ zu Gott gesprochen. Der Körper selbst spielt dabei keine Rolle und deshalb muss dem Ort, wo der Körper vergraben ist, nicht zu viel Aufmerksamkeit gewidmet werden. Deswegen ist es auch nicht notwendig, dass Ehepaare oder Familien an einem Ort oder nebeneinander beerdigt werden. 

Nach dem Tod kehrt die Seele des Menschen heim zu Gott.

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Auch für die einfach gehaltenen Inschriften auf den Grabsteinen gibt es eine theologische Begründung. Wie schon im Leben auf dieser Welt stehen alle Menschen als Sünder vor Gott und bedürfen seiner Vergebung. Da ist weder der Mann über der Frau noch der Doktor über dem Töpfer. Deshalb ist es nicht notwendig, sich mit irdischen Titeln zu schmücken und deswegen reden sich die Gemeindemitglieder der Brüdergemeine mit Vornamen (ohne jeden Titel) an. Diese Gleichheit oder Gleichwertigkeit der Menschen soll auch darin zum Ausdruck kommen, dass auf den Grabsteinen bewusst auf diese Titel verzichtet wird, und sie alle gleich groß sind.

 GOTTESÄCKER INTERNATIONAL 

Die Brüdergemeine ist eine der ersten evangelischen Missionskirchen. Seit 1732 haben Europäer die Reise in wenig bekannte Regionen der Welt auf sich genommen, um das Evangelium Versklavten und Indigenen zu bringen. Damit einher ging auch oftmals die eigene Kultur wie der weiße, einfache Kirchensaal oder die Einteilung der Gemeinde in gleiche soziale Gruppen (Witwen, junge alleinstehende Männer usw.). Auch die die Beerdigungskultur gehörte zu dieser importierten europäischen Kultur. Aber schon bald stellten die Missionare fest, dass es gerade bei der Beerdigung wichtige kulturelle Eigenarten gibt. Wie kann hier die Gleichheit der Menschen abgebildet werden? Müssen alle nach brüderischer Form beerdigt werden?  

Diese Problematik wurde im Laufe der Zeit auf den Missionsfeldern unterschiedlich gelöst. Interessant ist hier ein Blick nach Grönland, dem zweitältesten Missionsgebiet der Herrnhuter. 1733 wurde die Station Neuherrnhut nahe der von Hans Egede gegründeten Siedlung Godthåb (heute Nuuk) gegründet. In den nächsten Jahrzehnten wurden weitere Missionsstationen in südlicher Richtung errichtet: Lichtenfels, Lichtenau und Friedrichsthal. An allen Stationen wurden Gottesäcker eingerichtet. Dort wurden alle verstorbenen Gemeindemitglieder, egal ob Europäer oder Inuit, beigesetzt. Aber doch sind die Gräber sehr unterschiedlich. Während die europäischen Gräber ein klassischer brüderischer Grabstein ziert, sind die Grabstellen der Inuit in ihrer eigenen Tradition gebaut: Sie haben ihre Toten nicht in der Erde vergraben, sondern mit Steinen bedeckt. Jeder Steinhaufen steht für einen Menschen. Und so sind Europäer und Inuit auf diesen Gottesäckern gemeinsam beerdigt (in Gleichheit) und folgen doch ihrer jeweiligen Kultur. Gleich und doch nicht gleich. 

Niels Gärtner 
Pfarrer der Herrnhuter Brüdergemeine in Deutschland

Lesen Sie auch Teil 2 der Themenreihe „Tod und ewiges Leben“.